Schlüsselblume

Traumatherapie

Ein Wink fürs Schicksal

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Martina Schneider im Magazin Naturheilpraxis

„Du kannst jemandem entkommen, der hinter dir her rennt, aber dem, was in dir selbst rennt, wirst du nie entkommen“, lautet ein afrikanisches Sprichwort. Nie? Zweifel sind angebracht, seit es vergleichsweise junge Therapiemethoden und -techniken gibt, die Stresszustände und belastende Erlebnisse mildern und sogar auflösen, so dass Ängste und selbst chronische Erkrankungen verschwinden können. Wingwave® ist eine solche Interventionstechnik, die oft verblüffend schnell wirkt. Seit mehr als zehn Jahren wird sie erfolgreich bei psychosomatischen und chronischen Krankheitsbildern eingesetzt.

Schlag in die Magengrube oder üble Beleidigung: Das Gehirn kann nicht zwischen psychischen und physischen Verletzungen unterscheiden, haben Untersuchungen mit dem Kernspintomografen gezeigt. Beide lösen Stress aus. Während Wunden nach und nach verheilen, graben sich psychische Verletzungen im Gehirn ein und wirken mitunter lebenslang – vor allem auf den Mandelkern, der zwischen linker und rechter Gehirnhälfte gleich einer Ampel fungiert: Erkennt er eine Situation, die der Mensch früher nicht bewältigt hat, schaltet er auf Rot. Schon ist die Blockade wieder da – und stresst.

Um die Blockade zu lösen, macht ein Wingwave®-Coach im Wachzustand des Klienten das, was das Unbewusste nachts im Traum tut: Mit Augenbewegungen im raschen Wechsel zwischen rechts und links (die der „Flügelschlag“-Methode ihren Namen gegeben haben) wird der Austausch zwischen den Gehirnhälften angeregt und werden Bilder aus der Vergangenheit heutigen Erlebnissen gegenüber gestellt.

Die Hamburger Psychologen Cora Besser-Siegmund und Harry Siegmund haben vor mehr als zehn Jahren die Methode entwickelt. Sie vereinigt:
  • die Stimulation der Zusammenarbeit beider Gehirnhälften (Bilaterale Hemisphärenstimulation), die erzeugt wird durch schnelle horizontale Augenbewegungen bzw. auditive oder taktile Links-Rechts-Reize
  • NeuroLinguistisches Programmieren (NLP)
  • den kinesiologischen Muskeltest (O-Ring-Test), der dazu dient, die Wirkung der Intervention zu prüfen

Der Wortbestandteil wing soll an den Flügelschlag eines Schmetterlings erinnern, der unter bestimmten Voraussetzungen das gesamte Klima verändern kann. „Dies bedeutet auch, dass der wing für diese große Wirkung genau an der richtigen Stelle beim Klienten ansetzen muss“, sagt Cora Besser-Siegmund. Das wave stellt eine Verbindung zum englischen Begriff brainwave her, was sinngemäß Gedankenblitz oder tolle Idee heißt. Genau diese brainwaves werden durch Wingwave®-Coaching hervorgerufen.

Die eigentliche „Winke-Winke-Therapie“ (Der Spiegel) ist in den USA erfunden worden: Dr. Francine Shapiro, Psychologin am Mental Research Institute in Palo Alto, Kalifornien, begann 1987 aus einer Zufallsentdeckung heraus, sich mit Augenmuskelbewegungen, ihrer Wirkung auf die Hippocampi (Zentralstellen des limbischen Systems) und REM-Phasen zu beschäftigen: Sie hatte bei einem Spaziergang beobachtet, dass sich ihre psychische Belastung verringerte, als sie ihre Augen schnell und rhythmisch bewegte, während sie über ihr Problem nachdachte.

1989 etablierte Shapiro ihre Psychotherapiemethode namens EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing), die an Traumata leidenden Menschen deutlich schneller helfen sollte als bisherige Verfahren. Anfangs kümmerte sie sich vorrangig um Vietnam-Veteranen, die bereits zehn und mehr Jahre Psychotherapie und -analyse hinter sich hatten und die sich bereits nach drei bis vier Stunden EMDR wesentlich besser und befreiter fühlten: Die albtraumhaften Bilder der Vergangenheit verblassten zusehends.

Fast zehn Jahre sollte es dauern, bis EMDR in Fachkreisen nicht mehr belächelt und als Scharlatanerie abgetan wurde – und bis Therapeuten in Europa die Kurzzeitmethode erlernten und anwandten. In Deutschland half EMDR erstmals jenen Feuerwehrangehörigen, die am 3. Juni 1998 ohnmächtig neben den vielen Opfern der Zugkatastrophe von Eschede standen, an sich und ihrem Beruf zweifelten und in der Folge an einer Posttraumatischen Belastungsstörung litten.

„Wingwave ersetzt keine Psychotherapie“, macht Besser-Siegmund deutlich. Doch kann diese spezielle Interventionstechnik Therapeuten und Klienten gute Dienste leisten bei Reiz- und Unruhezuständen, bei somatoformen und chronischen Erkrankungen. Eingesetzt in der psychosomatischen Medizin wird Wingwave®, um:

  • Stress aufzulösen, der durch menschliche sowie leistungsbedingte Spannungsfelder in Unternehmen, Beziehungen und Familie ausgelöst worden ist
  • Enttäuschungen im zwischenmenschlichen Bereich zu überwinden
  • Kränkungen durch andere Menschen zu verschmerzen, die das Selbstbild ins Wanken gebracht haben
  • Trauerprozesse zu bewältigen, hervorgerufen durch Trennung oder Verlust
  • Erschütterungen aufzufangen durch scheinbar nichtige Anlässe wie kleine Beleidigungen, weil ein zugrunde liegender Konflikt aus früherer Zeit gärt und Groll verursacht hat
  • Ängsten zu begegnen und Probleme wie Prüfungsangst, Flugangst, Spinnenangst und Klaustrophobie zu lösen
  • Schlafstörungen zu beheben
  • Erkrankungen aus nachweislich nicht organischer Ursache zu lindern oder zu heilen
  • psychosomatische Schmerzzustände aufzuheben
  • Allergien und psychogenes Asthma los zu werden
  • einschränkende Überzeugungen umzuwandeln in fördernde Überzeugungen
  • ungewollte Kinderlosigkeit zu beenden
  • Übergewicht zu verlieren
  • sich das Rauchen abzugewöhnen

Belastungen und Kränkungen haben sich in die Psyche des Klienten eingegraben, tiefe Spuren hinterlassen und eine Erstarrung erzeugt. Die Gedanken kreisen beständig – bewusst oder unbewusst – um das Problem, das nicht verarbeitet werden kann. Oft hat der Klient seinen Ärger oder Groll, seine Wut, seine Enttäuschung bisher nicht oder nur kaum ausleben können. Die Lebensweisheit „Die Zeit heilt alle Wunden“ stimmt eben (noch) nicht.

Normalerweise bewältigt der Mensch den Stress des Tages in der Nacht, während er träumt. Diese Phase wird REM-Phase genannt (Rapid Eye Movement), in der sich die Augen schnell hin- und herbewegen. Dank der Arbeit der Augenmuskeln wird im Gehirn der Bereich erreicht, der für Biografie, Bilder und Gefühle zuständig ist: das limbische System, allgemein als Sitz der Seele bekannt. Wer träumt, verarbeitet Tages- und Stresserlebnisse, findet oftmals Lösungen für ein Problem über Nacht oder macht im Schlaf eine Erfindung.

Leider haben Stressfaktoren inzwischen so zugenommen, dass dieser Bewältigungsmechanismus nicht unbedingt zuverlässig funktioniert. Hinzu kommt, dass unruhiger Schlaf, Schlafstörungen und Schlafmittel die Traumphase teilweise oder ganz verhindern. Eine Folge: Der Betroffene fühlt sich ständig unter Druck, Entspannung wird unmöglich. Bei hohem Stress kommt es zu einer Blockade in der rechten Gehirnhälfte; zur Bewältigung eines Konfliktes benötigt der Mensch jedoch die optimale Zusammenarbeit beider Gehirnhälften.

Im Coaching-Prozess werden die REM-Phasen im Wachzustand simuliert. Indem der Coach mit einer Hand Winkbewegungen macht, denen der Klient mit den Augen folgt, wird eine äußerst schnelle Verarbeitung in Gang gesetzt. So werden steckengebliebene Prozesse ins Laufen und eingefrorene Gefühle zum Fließen gebracht – das mutet mitunter wie Zauberei an. Möglicherweise durchläuft der Klient mehr oder weniger dramatische Gefühlsprozesse, die in der Regel jedoch nicht mehr als eine Minute dauern. Während der Intervention kann es zu erstaunlich „weisen“ Erkenntnissen und kreativen Gedanken kommen, zu Gedankenblitzen eben. Der gesamte Prozess läuft mit Unterstützung des Coaches fast wie von selbst ab und wird abschließend mittels des kinesiologischen O-Ring-Testes geprüft.

Etwa eine Stunde dauert ein Wingwave®-Coaching, zwischen fünf und zwölf Stunden ein Coaching-Prozess. Visuelle, auditive oder taktile Links-Rechts-Reize (EMDR) werden kombiniert mit Verfahren aus dem NeuroLinguistischen Programmieren (NLP), die sich als besonders wirkungsvoll erwiesen haben. Beispiele: Mit Hilfe einer „Zeit-Linie“ kann der Klient Frieden schließen mit seiner Vergangenheit; Imaginierungstechniken und Arbeiten mit Zielen sind ebenfalls probate Mittel, um Stresszustände aller Art erst zu mildern, dann aufzulösen. Zudem helfen systemische NLP-Methoden weiter, wenn es um problematische Beziehungen in der Familie geht: Imaginativ werden Familien aufgestellt, belastende Erlebnisse und Beziehungen herausgearbeitet, um sie anschließend heilsam zu „bewinken“.

Nicht nur die mentale Fitness von (Leistungs-) Sportlern kann Wingwave® unterstützen. Wer blockiert ist von Ängsten, Phobien, Lampenfieber, wer persönliche Krisen nicht alleine meistern und erlittene Kränkungen nicht verzeihen kann, wer nachts grübelt, statt zu schlafen, und tagsüber ohne Energie und Antrieb ist, kann im Kurzzeit-Coaching gut aufgehoben sein. Bei psychosomatischen Erkrankungen wie Reizmagen und Reizdarm, Stresssymptomen wie Tinnitus, Allergie, Neurodermitis, chronischen Schmerzen in Kopf und Rücken, für die der Arzt oder Heilpraktiker bisher keine Ursache gefunden hat, kann Wingwave® hilfreich sein. Abnehmen ohne Diät oder Aufhören mit dem Rauchen sind auch möglich: Die Auslöser für die Gier nach Essen oder Zigarette sitzen im Gehirn – und können weggewunken werden.

Seit 2005 ist Wingwave auch interessant für die Forschung. An der Universität Hamburg ging Nadia Fritsche während ihrer Diplomarbeit am Fachbereich Psychologie der Frage nach, ob und wie Wingwave gegen Prüfungsängste wirkt. 13 Studenten und Schauspieler nahmen an der Studie teil, sie wurden zunächst „ungecoacht“ vor und nach einer Prüfung oder einem Auftritt getestet. Danach erhielten sie durchschnittlich zwei Stunden Coaching, bevor sie in die zweite Prüfung gingen. Ergebnis: Die Werte in der zweiten Prüfung hatten sich signifikant in die gewünschte Richtung verbessert, und die Verbesserungen hielten auch an.

Im Herbst 2006 leitete Professorin Dr. Marie-Luise Dierks an der Medizinischen Hochschule Hannover eine Studie zu „Wingwave im Einsatz bei Redeangst und Lampenfieber“. Ergebnis: Schon zwei Stunden Coaching können Redeangst und Lampenfieber in Präsentations-Sicherheit und Auftrittsfreude verwandeln. Weitere Studien zu Wingwave sind derzeit noch in Arbeit. Beispielsweise werden am Institut für Kognitions- und Sportspielforschung der Deutschen Sporthochschule Köln die neurobiologischen Effekte des Muskeltests geprüft. Die Messungen sollen zeigen, ob die Phänomene beim Myostatiktest und realer, messbarer neurobiologischer Stress tatsächlich übereinstimmend auftreten. Außerdem soll dargestellt werden, welche neurobiologischen Phänomene während der wachen REM-Phasen, also während des „Winkens“ auftreten.

2004 bereits wertete das Besser-Siegmund-Institut Hamburg 871 Klientenergebnisse aus nach den standardisierten Dokumentations-Unterlagen von 23 Coaches. Demnach erreichen mehr als zwei Drittel der Klienten nach durchschnittlich vier Stunden Coaching ihre anfangs bestimmten Ziele, diese Wirkung hielt bei 70 Prozent der Klienten länger als ein halbes Jahr an.